those were the tapes... Wer  sich vor den Zeiten von Internet-Tauschbörsen, last.fm und sonstigen inflationären Mp3-Verbreitungsmöglichkeiten dem extremeren Metal – wie in meinem Fall dem Black Metal – zugewandt hatte, kann sich vielleicht noch an die Schwierigkeiten erinnern, immer an die neuesten Alben seiner Lieblingsbands zu gelangen, zumal wenn man eh ein finanziell perma-insolventer Schüler war und nicht gerade in einer Großstadt lebte. Das Angebot der hiesigen Musikläden – Mitte der 90er zumeist beschränkt auf das jeweils neuste Album der ‚Szene­größen’Cradle of Filth und Dimmu Borgir – hatte man bereits nach den ersten Monaten über­schwenglicher Begeisterung für diese neue Ausdrucksmöglichkeit pubertären Welt­un­verständnis dem heimischen CD-Schrank einverleibt, und auf Metal spezialisierte Plattenläden kannte man höchstens vom Hörensagen, die mehr in Form von Legenden durch die örtliche ‚Szene’ (also das Dutzend hormongeschüttelter Jünglinge mit kinnlangen, schwarz gefärbten Haaren) geisterten („Da soll es sogar alle Immortal-Platten geben!“). Natürlich gab es da noch die Mailorder, bei denen man per Fax oder Telefon das volle Programm der musikalischen Sehnsüchte bestellen konnte, aber wer auch nur einen Katalog eines ‚richtigen Black Metal-Mailorder-Versands’ (wir erinnern uns, tausendmal kopierte s/w-DinA5-Seiten, gerne noch mit Schreibmaschine getippt) besaß (EMP zählte nicht!), der galt bereits als wirklich in der ‚Szene’ etablierter Insider. Dazu kam bei Mailorder-Bestellungen (zumindest bei uns im tiefst katholischen Westfalen) das Problem, dass Bestellungen zumindest zu Beginn oft über die Eltern ablaufen mussten und diese – als aufgeklärte und an ihren Kindern interessierte Er­ziehungs­­berechtigte – dem Seelenheil des Sprösslings zuliebe gerne entschieden, dass ein Shirt mit der Aufschrift ‚Fuck Me Jesus’ nicht unbedingt zu den Aussagen gehört, welche die Nach­barn lesen wollen… so landete mein erster Last Episode-Katalog im Kamin…

Doch zum Glück war man ja nicht alleine in seiner Not, und ich muss gestehen, dass ich in meiner Jugend selten eine solche Solidarität erlebt habe, wie in unserer örtlichen Black Metal-‚Szene’ (ich erwähnte es schon, wir waren etwa zu zwölft… die Nachbardörfer mit einge­rechnet). Man traf sich also fast jeden Nachmittag nach der Schule in dem einzigen Fantasy-Laden diesseits des Rheins (wir hatten tatsächlich einen richtigen Fantasy-Laden mit Rollen­spiel-Runden und Tabletop-Turnieren, purer Luxus also, und maßgeblich für die zünftige Realitätsflucht, die zu einer guten misanthropen Adoleszenz einfach dazugehört), lauschte welt­entrückt in einer Ecke sitzend und mit gezwungen böser Miene – oder dem was man dafür hielt – den neuesten musikalischen Errungenschaften auf seinem Walkman, auch wenn man dafür die selbe Kassette immer wieder von vorne durchlaufen ließ, und versuchte die anderen Teilnehmer der Gesprächsrunde heranwachsender Menschenhasser mit seinem profunden Insiderwissen über fremde Bands zu beeindrucken („Jaja, Dissection heißen die.“). Die essentielle Bedeutung dieser Treffen war aber das Tauschen von Kassetten. Man über­spielte zuhause ein paar seiner Lieblingstapes, auch wenn die Qualität davon nicht unbedingt besser wurde (ich habe mir neulich nochmal ein paar meiner alten Schätzchen angehört, Bathorys ‚Hammerheart’ glich akustisch mehr einem Windows-Systemfehler) und tauschte diese dann mit anderen. Bei uns hatte sich dafür im Laufe der Zeit fast so etwas wie eine all­seits akzeptierte Währungsnorm etabliert: Cradle of Filth-Kassetten waren generell nur halb so wertvoll wie alles andere, bekannte Alben wurden 1:1 getauscht und je unbekannter die Band (wahlweise auch je unleserlicher das Logo) war, je mehr konnte man für ein Tape ver­langen.

Diese Treffen waren für mehrere Jahre unser direktester Zugang zu dieser großen weiten Welt faszinierend unbekannter Musik und ich habe noch immer fast 50 Kassetten aus dieser Zeit, fein säuberlich beschriftet. Auch als unser Fantasy-Laden schloss, ließen wir uns davon weder beirren noch beeinflussen und trafen uns weiterhin am angestammten Ort, nur eben auf dem Parkplatz davor, da wir be­fanden, ein Sonnenstudio sei nicht das angemessene Ambiente für unser Vorhaben – als Black Metaller lernt man eben früh die Bedeutung von stoischer Treue und bedingungsloser Ignoranz.

Und heute?

Längst haben Mp3s die Schlacht gewonnen, CDs, Platten und Kassetten spielen für die Ver­breitung von Musik keine wirkliche Rolle mehr. Ist man an einem neuen Album, einer neuen Band interessiert, dauert es in Zeiten von blogspots und rapidshare nur ein paar Minuten, bis man auch das noch so unbekannte Album gefunden und heruntergeladen hat. Ich gebe selber zu, dass ich oft von diesem leichten Weg Gebrauch mache und mich in einer Flut von Musik erstickt sehe. Natürlich kaufe ich, ebenso wie zum Glück noch genug andere, regel­mäßig die für mich wichtigen neuen Veröffentlichungen als CD oder lieber noch als LP, aber ich kenne genug Leute, die sich als ‚hardcore rtve Black Metaller’ sehen und schon seit Jahren keine Platte mehr gekauft haben… wieso auch? Es lässt sich ja alles herunterladen, am besten direkt die ganze Discographie einer Band – und schon haben sich mehrere zehntausend Titel auf dem Rechner angesammelt und plötzlich stellt man fest, dass man davon nur ein Bruchteil auch nur angehört hat und einem so viele großartige Stücke und ganze Alben entgehen… eben weil man keine Zeit hat um diese intensiv zu hören und zum Teil heute schon wieder vergessen hat, was man gestern heruntergeladen hat.

Und an dieser Stelle kehre ich wieder zum eigentlichen Sinn dieses kleinen Pamphlets zurück – dem Tapetraden.

Vor ein paar Jahren, ich hatte gerade wieder begonnen, zur Hälfte aus Nostalgie, zur Hälfte aus Geiz (die meisten Alben kosten als Tape gerade mal 4€) von CDs zu Tapes überzugehen, schrieb ich mit einem alten Bekannten über just dieses Thema. Wir klagten uns unser Leid darüber, dass wir zumindest neue Musik kaum noch intensiv hören würden und auch so nur noch selten etwas neues entdeckten, das uns noch so begeistern konnte wie früher. Schon lange waren die Zeiten vorbei, in denen man sich voller Neugier und Vorfreude mit dem frisch eingetroffenen Paket vom Mailorder vor die Anlage setzte und ganz bewusst jede CD nach der anderen durchhörte (oder gar in Ermangelung eines Plattenspielers mit seinen neuen LPs und EPs zu Freunden fuhr).

Also beschlossen wir, die glorreiche Episode des Tapetraden wiederaufzunehmen, auch wenn wir uns von der Umsetzung da mehr an diesen entzückenden Buchclubs orientierten, die in wohl jeder Kleinstadt bei der gelangweilten Hausfrauenfraktion anzutreffen sind. Wir nervten ein paar Freunde, die wir entweder als würdig genug ansahen oder die zumindest eine große und gut sortierte Platten-Sammlung ihr Eigen nannten, mit unserer Idee und begannen, uns abwechselnd neu überspielte (Wir erinnern uns an die liebevoll totkopierte Bathory!) Tapes zu schicken, erst monatlich und dann voller Begeisterung fast im Wochenabstand. Einzige Regel war, dass man für jede erhaltene Kassette auch selber ein neues Tape überspielte und weiterschickte und dass man immer ein Album oder auch einzelne Songs für einen Sampler aussuchte, die zu den persönlichen Favoriten zählen.

Mittlerweile ist unser kleiner Kassetten-Zirkel – nach knapp 60 erhaltenene Tapes – schon seit einiger Zeit… sagen wir ‚inaktiv’ (keiner schickt mehr etwas herum, aber alle schwärmen noch immer davon), aber anhand der teils doch recht dramatischen Preise, die bei Ebay mit­unter für Leerkassetten gezahlt werden, wage ich zu behaupten, dass es sie immer noch gibt, die liebevolle Erweiterung unseres musikalischen Horizontes – irgendwo da draußen…

Wer nun bei diesen Zeilen voller Wehmut und altklugem Wissen auch Feuer gefangen hat für das Tapetraden und ein paar Besonderheiten im Bereich des Black Metal besitzt, die nicht un­bedingt in den EMP-Charts stehen, der kann sich gerne melden:

runar@empress-metal-magazine.de

 

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