Konnte das Festival trotz seiner ausufernden Größe und der steigenden Gier der Veranstalter nach Superlativen seinen eigentümlichen Charme behalten, der über Jahre hinweg die Reise am ersten Augustwochenende in das kleine Örtchen nahe der Nordsee zu einem festen Eintrag im Terminkalender gemacht hatte? Die Antwort lautet leider ohne Zweifel: Nö!

Metaller auf dem WOA: Die letzten ihrer Art?

Metaller auf dem WOA: Die letzten ihrer Art?

Nach einem Jahr Pause kehrte ich 2010 aus zweierlei Gründen nach Wacken zurück: Einerseits überzeugt von einem wirklich hochkarätigen Line-up, das mit IRON MAIDEN, MÖTLEY CRUE, ALICE COOPER und SLAYER nun doch auch einige der größten Namen der Szene enthielt, die entgegen dem zur Legende gewordenen Spruch der Veranstalter, das Publikum sei ja der eigentliche Headliner, zweifelsohne die Vierfach-Spitze des Billings ausfüllen konnten. Andererseits schien mir ein Besuch des Wacken-Open-Air immer noch als eine Garantie dafür, ein rundherum gelungenes Party-Wochenende zu verbringen, sofern man sich auf die „Neuerungen“ einstellen konnte, etwa die immer höheren Preise, die immer weiteren Wege (wenn man nicht schon zwei Monate vorher anreisen kann, sondern erst 32 Stunden bevor die erste Band spielt…) oder – und dies war in der Vergangenheit in der Tat ein echtes Problem – das extreme Gedrängel auf dem Festivalgelände, das in diesem Jahr im Vorfeld der Anreise, d.h. kurz nach der Love Parade-Apokalypse Ende Juli, noch einen unangenehmeren Beigeschmack hatte.

Was die Bands angeht, so wurden die Erwartungen in jedem Fall erfüllt. Es gab geniale Auftritte der Headliner und zahlreicher anderer Bands, die auch trotz notorischer Überfüllung des Platzes ihresgleichen suchen. Herausragend waren neben den vier großen Namen (von denen die CRUE meines Erachtens die beste und MAIDEN mit einem langweiligen Set die schlechteste Performance abgeliefert haben), sicherlich OVERKILL, W.A.S.P. und die Spaßbomben von IMMORTAL, aber auch LIZZY BORDEN und VOIVOD, stets unterstützt durch eine geniale Lightshow und eine wahnsinnige, den Tinnitus befördernde Lautstärke, die von in der Tat fähigen Soundmenschen durch die Boxen gepustet wurde. Der Fairness halber muss man zugeben, dass es an den Abenden auch immer noch diese Momente gab, an denen man nahezu menschenleere Plätze auf dem Festivalgelände finden konnte, von denen aus man das Geschehen von weitem beobachten und das Ganze einmal auf sich wirken lassen konnte. Insbesondere nachdem die Großen gespielt hatten, konnte man ohne kontinuierlich ansteigende Gereiztheit über das Gelände schlendern und bei einigen Bands einfach mal nach vorne durchgehen um sich die Bands direkt und nicht nur über die Leinwände anschauen sowie die gigantische Lightshow genießen konnte (ANVIL sind eine sehr sympathische Band!).

Eine weitere „Sensation“, die seit einigen Jahren nun auch ein fester Bestandteil des WOA ist, und der ich insbesondere in diesem Jahr sehr viel abgewinnen konnte, sind die abendlichen Filmvorführungen vor dem Festivalgelände, die auch diesmal insbesondere am Mittwochabend wieder gute Unterhaltung boten, etwa mit einer Ronnie James Dio (R.I.P.) – Dokumentation oder der Europapremiere des wirklich genialen „Until the light takes us“. Auch wenn mich solche Erfindungen wie das „Wackinger“ Mittelalterdorf auf einem Metal-Festival nicht im Geringsten interessieren, so fand man hier ohne Frage die qualitativ hochwertigsten Möglichkeiten, seinen Magen zu füllen, sowie ein paar einschlägig aufgehübschte Attraktionen (dieses positive Urteil gilt nicht für das absolut bescheuerte Zirkuszelt, vor dem stets eine Horde Nerds Schlange stand, um auch mal in der wirklichen Welt einen Blick auf ein paar – eingeschlammte – Titten zu ergattern).

Darüber hinaus befand sich im Wackinger-Dorf eine weitere Bühne, von der aus schon am Mittwochabend FIDDLER´S GREEN dem Publikum irische Klänge verabreichten. Sicherlich eine nette Idee der Veranstalter, wenngleich man sich – vor allem, wenn man stets sein geniales Sicherheitskonzept preist – hätte denken können, dass sich viele Besucher mangels Alternativen das „einmal ansehen“ würden. Die Konsequenz war, dass ich letztendlich mithilfe einiger Mitstreiter versuchen musste, ein Absperrgitter aus der Verankerung zu heben, um das Verlassen des Wackinger-Dorfes zu ermöglichen. Denn man kam, einmal im Innenbereich gefangen, weder vor noch zurück, während die Massen jedoch, wie die Motten zum Licht, immer weiter zu uns, d.h. Richtung Musik strömten (die Situation muss einigen Augenzeugenberichten zufolge beim Auftritt von EQUILIBRIUM auf derselben Bühne wohl noch ungleich dramatischer gewesen sein). Wat soll man machen? Mein Tipp: Das nächste Mal vielleicht einfach das ganze Trallala auf dem Wackinger/Zirkuszelt-Platz gegen eine große fünfte Bühne eintauschen. Dann kann man den Besucherstrom besser steuern, die ganze Meute verteilt sich besser und es gibt die Art von Unterhaltung, die sich alle wünschen (sollten)…

Vielleicht kann man dann auch wieder vermehrt solche Besucher anlocken, die sich auch ein bisschen für die Musik interessieren, die früher einmal der einzige Aufhänger des Festivals war: METAL in seiner ganzen Bandbreite! Vielleicht vergeht dann einigen Leuten, die nur an der Sekundärunterhaltung interessiert sind, allmählich der Appetit. Ich möchte nicht intolerant erscheinen, aber ich gehe auch nicht auf das Summerjam-Festival und puste den Leute dann die „Altars of Madness“ um die Ohren. Dasselbe sollten sich auch diejenigen einmal zu Herzen nehmen, die mit den größten Boxen und Kühlschränken anrücken und dann vier Tage lang nichts aber auch gar nichts anderes abspielen als Schlager und Techno. Wenn dann auch noch ein Depp die ganze Nacht auf einer Mülltonne rumkloppt, die er – um mal „was Geiles zu machen“ – den ganzen Weg vom Gelände zu seinem Zelt geschoben hat, dann ist man in der Tat froh, wenn man wieder auf der Autobahn ist. Insgesamt hat mich das Aggressions- und Randalepotential 2010 mehr als erschreckt: Vor allem am Samstag schienen sich bei einigen Leuten sämtliche Schranken zu lösen, was sich dann in einer Flut aus Pisse, Kotze, Kacke, Bier, Schnaps und vor allem auch schwelenden Plastikbränden und offenen Feuerherden über das Gelände ergoss. Ich denke, hieran lag es dann auch, dass schon am Samstagabend außerordentlich viele leere Flächen auf den Campingplätzen zu sehen waren und wir Zurückgelassenen – stehend in einem Feld aus Rauch, Feuer und Fäkalien, zu wenig nüchtern, um selbst die Heimreise anzutreten – den Abreisenden sehnsüchtig hinterher blickten.

Nun gut, vielleicht war´s nicht wirklich ganz so schlimm, aber mit diesen Negativerfahrungen steht und fällt das negative Gesamturteil, das ich dem WOA 2010 ausspreche. Auch meine letzten Besuche in unserem kleinen schleswig-holsteinischen Dorf waren schon sehr geprägt gewesen von der Allgegenwart der Sponsoren und der Werbung sowie der versammelten deutschen Presselandschaft (von „Spiegel“ bis „RTL2“), so dass man das Gefühl bekommen konnte, man war als Besucher nur Mittel zum Zweck, das Lebenswerk der Veranstalter in alle Welt zu verkünden, auch wenn dann ja dann doch nur die Feuerwehrkapelle (noch so eine Sache…) abgefilmt wurde. Auch das völlig bescheuerte Pflastern jeder Weggabelung mit irgendwelchen Hinweisschildern und – das ist die Vollendung deutscher Achtsamkeit – doch tatsächlich auch solchen Schildern, die auf andere Schilder aufmerksam machen („Watch out for signs, Metalheads!“) waren in den letzten Jahren eher Anlass, dämliche Witze zu reißen. Denn man hatte immer noch das Gefühl, an einem Ort zu sein, wo alle durch eine bestimmte Idee miteinander verbunden sind, sei es auch nur die besoffene Begeisterung für laute Gitarrenmusik oder das Gefühl, dank der Musik vom Alltag und der Alltagswelt Abstand zu gewinnen. Doch die langjährige Berichterstattung, die wohl aufgrund rechtlicher Beschränkungen eher die Party in den Blick nimmt als den Grund der Party –  unsere Musik, den Metal, der in der Tat einen Rattenschwanz an nicht-musikalischen Elementen, die die Szene auch für Leute wie mich, die allmählich ihr drittes Lebensjahrzehnt abschließen, so interessant und lebenswert macht, nach sich zieht – hat anscheinend dazu geführt, dass eben jene Ballermann-Touristen nach Wacken kommen, die auf jedem x-beliebigen Truckertreffen dasselbe hätten haben können, nämlich ein einwöchiges Schützenfest mit Pils, Pimmelmütze und Posaune. Das auf diese Weise dauerhaft etwas zerstört wird, dass nicht durch gute Organisation, die großen Namen auf dem Billing, die Nachwuchsförderung durch das Metal-Battle u.ä. wieder wettgemacht werden kann, ist eine Tatsache. Genauso wie der Umstand, dass die Veranstalter, denen ich nicht einmal unbegrenzte Raffgier als einzigen Antrieb unterstellen möchte, das auch gar nicht wollen. Hier treffen sich unterschiedliche Erwartungen, nämlich einerseits die, ein Festival veranstalten zu wollen, das der Größe, der Bekanntheit und der Organisiertheit nach weltweit seines Gleichen sucht, und andererseits die Erwartung der Besucher, einen Ort zu haben, an dem sich Menschen jeden Alters, die die Begeisterung für eine bestimmte Musikkultur verbindet, treffen und ein tolles Wochenende jenseits der Welt da draußen haben wollen.

Diese Erwartungen widersprechen sich – und in Wacken zeigte sich in diesem Jahr, dass sie auf Dauer unvereinbar sind. Ich bin mal gespannt, wie es weitergeht, und werde die Entwicklungen verfolgen – aus der Ferne.

 

Luke

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