Spätestens jetzt soll niemand mehr sagen, an Unis würde nur lebensferner, trockener Stoff vermittelt. „Symbolische Konstitution einer residualen Kultur“ – hinter diesem zugegebenermaßen sperrigen Titel verbarg sich im Wintersemester 2011/12 ein Seminar an der HBK Braunschweig unter der Leitung von Rolf Nohr – über und mit einer Menge Metal. Aber alles natürlich streng wissenschaftlich!

Als ich das erste Mal im Seminarraum sitze, wundere ich mich: Die Seminarteilnehmer, hauptsächlich Frauen, sehen allesamt völlig normal aus – oder, wenn man sich das Thema das Seminars vor Augen hält, leicht fehl am Platz. Eine Lederjacke oder gar ein Metallica-Shirt trägt hier jedenfalls keine(r). Reine Tarnung? Ob sie sich gleich die Strickjäckchen von den Leibern reißen und „Master of Puppets“ skandieren? Immerhin sehe ich auch nicht so aus, als würde ich mir regelmäßig zu Amon Amarth und Emperor die Birne wegknallen.

Kurz vor Beginn der Sitzung kommen doch noch zwei, die dem typischen Bild eines Metallers entsprechen: langes Zauselhaar, Bart, schwarze Kleidung. Einer trägt sogar eine Lederjacke. Sie lassen sich in der hinteren Reihe nieder. Tag gerettet.

Eins wird schnell klar – die meisten Teilnehmer dieses Seminars sind blutige Laien ohne jedes Vorwissen. Apropos blutig: Als der Dozent zum Einstieg nach Assoziationen zum Metal fragt, dreht sich vieles um die Gewalt in den Songs. Und um die merkwürdige Kleidung. Und ganz allgemein um den Sinn dieses ganzen unverständlichen Kreischens. Das Seminar – das geben einige offen zu – besuchen sie hauptsächlich deshalb, weil es gerade gut in den Zeitplan passt. Mancher will vielleicht die dazugehörige Übung belegen. Oder – vereinzelt ist man doch vage interessiert, will einfach mal reinschnuppern in diese „fremde Subkultur“. Ich frage mich: Mit denen soll man sich jetzt über Metal unterhalten? Und am Ende stelle ich fest: Doch, das geht.

Zu Anfang beschäftigt sich das Seminar mit den gemäßigten Spielarten des Metal. Dank YouTube beschallen Vertreter der „New Wave of British Heavy Metal“ wie Judas Priest den Seminarraum. Metallica lassen dann tatsächlich die Puppen tanzen, und Eddie Van Halen gibt sein weltbekanntes Gitarrensolo zum Besten.

Die meisten Teilnehmer können sich mit dieser Art Metal zumindest arrangieren. Auch Nightwishs „Nemo“ ertragen sie heldenhaft. Beim nächsten Video hört die Toleranz allerdings auf: Röhrend turnen Immortal in Kriegsbemalung und Krebsgang über irgendeinen eisigen Felsen im Nirgendwo. Nun kann man sich auch als gestandener Metalfan seine Gedanken über Immortal machen, die manchmal auftreten wie Undercovercomedians während einer gnadenlosen Selbstparodie. Doch in diesem Seminar ergibt sich daraus ein Vorteil: Die Teilnehmer finden hier – in überspitzter Form – alles, was den härtesten aller harten Metaller ausmacht – und sind prompt irritiert.

Die bemalten Gesichter zum Beispiel – „grotesk“. Die Erklärung, es handle sich hierbei um das so genannte Corpsepaint – „Leichenbemalung“, trägt da nicht zu besserem Verständnis bei. Verstehen, wovon Immortal eigentlich singt, kann man sowieso nicht. Ist vielleicht auch besser so. Verse wie „Gather attack while death marches in the sky“ könnten den unbedarften Zuhörern vielleicht den Rest geben.

In den folgenden Sitzungen bemüht sich das Seminar dementsprechend, beim Thema Fankultur, Lyrics und Symbolik Fuß zu fassen. Es lernt, was eine moderne Kutte ist und sogar, wie man sie tauft. Außerdem noch, dass Satanismus und Mord in den meisten Black Metal-Texten nicht ernst gemeint, sondern bloß ein Ausdruck von Rebellion sind. Mit der Zeit entwickelt sich sogar das ein oder andere amüsante Ritual. Wenn Daniel – einer der beiden Metaller – ein neues Bandshirt anhat, bemühen sich Seminar und Dozent nach Leibeskräften, die verschnörkelte Schrift zu entziffern: „…könnte ein C sein, nein ein Rrrrr, Ri, Ria, Rialnr“ – und brauchen am Ende doch meist den Träger, um das Rätsel zu lösen (in diesem Fall übrigens Windir).

in Highlight des Seminars sind ohne Zweifel die Gastvorträge. Zuerst erklärt Dietmar Elflein die musiktheoretischen Hintergründe von Hard Rock und Heavy Metal – wer nicht gerade selbst in einer Metalband die E-Gitarre in den Verstärker rammt, kann hier eine Menge lernen.

Den zweiten Vortrag hält der Fotograf Jörg Brüggemann, der ein Jahr lang durch Südamerika gereist ist und die dortige Metalszene vor sein Objektiv genommen hat. Noch interessanter als die Fotos sind allerdings die Geschichten, die er dazu erzählt. Von ganzen Metalvierteln und -dörfern ist da die Rede, und von Menschen, die zig Kilometer laufen und ihr gesamtes Erspartes ausgeben, um Iron Maiden zu sehen. Aber auch die Globalisierung und ihre Schattenseiten finden hier ihren Platz – warum kommen Maiden und Co nach Südamerika? Handelt es sich beim Metal etwa um eine Art musikalische Coca Cola, die in fremde Kulturen exportiert wird und sich dort breitmacht?

Von Jörg Brüggemann lassen wir uns übrigens unseren Eindruck bestätigen, dass es weltweit sehr wenige weibliche Metalfans gibt. Vielleicht ist das der Grund dafür, warum sich in einem überwiegend weiblich geprägten Studiengang und damit auch in diesem Seminar wenige begeisterte Anhänger finden.

Vielleicht ist das aber auch gerade vorteilhaft. Schließlich können sich unbefangene Menschen wesentlich leichter wissenschaftlich-objektiv mit einem Thema auseinandersetzen als fanatische Fans. Oder?

Ich gebe zu, dass es mir, als Fan, zum Teil tatsächlich schwer fällt, mich objektiv mit dem Thema Metal zu beschäftigen Da muss ich mir anhören, dass ich mich in meiner schwarzen Kluft uniformiere und damit höchstens die Zugehörigkeit zur ominösen Gruppe der Metaller anzeige, aber nicht mich selbst – soviel zum Thema Individualität. Auch das leidige Thema der Rechtsgewandheit mancher Black Metal-Bands kann ich nicht mehr einfach übertönen, indem ich das Booklet ignoriere und die Lautstärke aufdrehe. Jetzt ertappe ich mich beim „Genuss“ von Amon Amarth tatsächlich dabei, im nordischen Heldengeplänkel nach völkischen Botschaften zu lauschen.

Es muss auf der anderen Seite aber auch schwerfallen, eine Musik in Gänze zu begreifen, die man sich niemals freiwillig anhören würde. In diesem Seminar sollten dicke Vorbereitungstexte helfen, die Teilnehmer auf ein angemessenes Level zu hieven. Tiefergehende Diskussionen gibt es trotzdem kaum.

Eine Ausnahme bildet der „Politblock“ – denn mit Politik kennen sich die meisten hervorragend aus. Metal gilt nach wie vor als recht unpolitisches Genre, im Gegensatz zum Hiphop oder gar Punk. Außer einer gewissen „Rückbesinnung“ oder „Back to nature“-Philosophie kann man ihn keiner Ideologie oder Bewegung zuordnen. Eskapismus kann man Metallern trotzdem nicht vorwerfen. Über die Frage, wie verbale Schlachtfeste und Songs wie „Surf Nicaragua“ zusammenpassen, entspinnt sich tatsächlich eine lebhafte Diskussion.

Ebenso über das Thema „Metal im Islam“ – wie man sich denken kann, haben es Metaller in islami(sti)sch geprägten Ländern alles andere als leicht. Kaum einer traut sich dort mit langen Haaren auf die Straße, Konzerte sind meist klein und illegal. Ist der Metal dort nun besonders politisch? Nein. Gerade dort reduzieren Bands kontroverse Lyrics auf ein Minimum. Aber alleine die Tatsache, dass Bands trotz zahlreicher Repressionen noch auftreten, kann als politisches Statement gewertet werden.

Fassen wir mal zusammen; Abgesehen davon, dass dem Seminar das Format einer Vorlesung manchmal besser getan hätte, kann man sich nicht beschweren. Als Metaller hatte man die Gelegenheit, sich in einer Art und Weise mit seiner Musik auseinandersetzen, die über glückseliges Headbangen hinausgeht (und ab und an ein paar neue Musiktipps abzustauben). Unwürdige Nichthörer wurden zwar meiner Vermutung nach nicht bekehrt, verstehen uns vielleicht aber besser und springen nicht mehr vor Schreck in den Straßengraben, wenn sie eine schwarz gewandete Gestalt über die Straße gehen sehen. Oder vielleicht gerade jetzt. Wer weiß.

 

Bildnachweis: Die Bilder in diesem Artikel stammen aus dem Trailer zur Tagung „Metal Matters“ an der HBK Braunschweig (3.-5. Juni 2010)

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One Response to Metal goes Science – geht das gut? Ein Erfahrungsbericht.

  1. Rolf Nohr sagt:

    Danke für den schönen Bericht. Schön auch, dass der Austausch zweiseitig funktioniert: Vom Metal in die Uni und von der Uni zurück zum Metal(Mag). Und keine Angst: ein Uniseminar, eine Tagung oder eine wissenschaftliches Buch macht den Metal nicht kaputt. Der ist robust, der hält was aus: „I will lead this beast on a chain of flowers“

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